Unser Name ist ein Teil der Persönlichkeit. Den Vornamen verdanken wir unseren Eltern, die ihn nach persönlichen Vorlieben individuell -mehr oder weniger zufällig- ausgewählt haben.
Überhaupt nicht vom Zufall bestimmt ist dagegen der Familienname. Mit der Geburt wurde er uns in die Wiege gelegt. Er verbindet mit Generationen über Jahrhunderte hinweg.Er vereint mit Verwandten außerhalb unseres engeren Familienkreises. Er ist historisch begründet und zugleich zeitlos. Der Familienname bewahrt ein Stück Familiengeschichte: er gibt Einblicke in das Leben unserer direkten, längst verstorbenen Vorfahren und zeigt, wo unsere Familie zu Hause ist.
Für uns ist es heute ganz selbstverständlich, zu einem oder mehreren Vornamen auch einen Familiennamen zu tragen. Er hilft dabei, rechtliche und geschäftliche Belange in einer globalisierten Welt zu regeln, in der der gleiche Vorname meist tausendfach vergeben ist. Doch wie hießen eigentlich Moses, Odysseus und Cleopatra mit Familiennamen?
Unseren Vorfahren reichte jahrtausendelang ein einziger Name aus. Ergänzende individuelle Kennzeichnungen des Namensträgers wie Alexander der Große und Jesus von Nazareth hat es aber schon immer und überall gegeben.Bei ihrer Entstehung spielten solche Motivationen eine Rolle, die heute noch zur Bildung von Spitznamen Anlass geben: der Name des Vaters, der Beruf, die Herkunft, die Lage des Hauses oder eine äußerliche bzw.charakterliche Auffälligkeit. Schon vor dem Jahre 1000 enthalten zahlreiche Urkunden Beinamen -damals noch in lateinischer Sprache überliefert-, die unseren Spitz- und Familiennamen inhaltlich ähneln:
Petrus Wamba ('Bauch'), Merila bokareis ('Schreiber'), Notker Balbulus ('Stammler'), Petrus Zanvidus ('Zahnlücke'). Diese frühen Beinamen waren oft nur Eintagsfliegen. Je nach Anlass und Kontext konnten sie ad hoc gebildet oder verworfen werden. Vererbt wurden diese instabilen Namen nicht, spätestens mit dem Tod des Namensträgers starben sie aus. Und doch bilden die persönlichen Beinamen eine wichtige Vorstufe für die Herausbildung der Familiennamen.
Denn im Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter wurde eine differenziertere Namensgebung durch vielfältige gesellschaftliche Veränderungen immer notwendiger. Einer der wesentlichsten Faktoren war das enorme Bevölkerungswachstum, das ab Mitte des 11.Jahrhunderts bis in das beginnende 14.Jahrhundert anhielt. Der Zuwachs der Bevölkerung erforderte unter anderem die Erschließung neuer Siedlungsgebiete und die Verbesserung der Produktionsmethoden in der Landwirtschaft. Hierdurch entstanden neue Absatzmärkte, der Handel blühte auf und Handwerkszweige spezialisierten sich. Innerhalb dieser gesamtgesellschaftlichen Umbrüche wuchsen die Städte zu wirtschaftlich-politischen und geistigen Zentren heran, die bald auch eigenständige Verwaltungsstrukturen ausbildeten. Hier wurden nicht nur Zinszahlungen, Steuerabgaben und rechtliche Angelegenheiten genau erfasst, auch die ständig zu ziehenden Bürger bedurften einer Registrierung. Diese ohnehin schon aufwendige Personenverwaltung gestaltete sich auf der Basis nur eines Vornamens umso schwieriger, da einzelne Vornamen überaus beliebt waren und somit auch häufig vergeben wurden. Beispielsweise teilte sich im 14. Jahrhundert in der deutschen Stadt Bamberg ca. die Hälfte der männlichen Bevölkerung drei Vornamen: Heinrich, Konrad und Hermann. Wie sollte man da die vielen Männer, die innerhalb der Stadt, Zunft oder Bruderschaft denselben Vornamen trugen, noch auseinanderhalten?
Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich das Prinzip der Nachstellung eines Beinamens unter diesen Umständen systemhaft ausbreitete. Erfüllten Beinamen anfangs allein die Funktion der exakten Personenidentifizierung, kam ihnen bald eine neue Rolle zu: Blieb der Beiname nämlich für eine Familie konstant, ließen sich über ihn die Stammeslinie und mit ihr Erbansprüche nachzeichnen. Familiär verfestigt haben sich die Beinamen also zunächst in jenen Bevölkerungsschichten, die Rechte und Besitztümer zu vererben hatten: in Adels- und Feudalfamilien.
Und sicher ist in diesen Kreisen auch bewusst ein familiäres Zusammengehörigkeitsgefühl über den Familiennamen nach außen getragen worden. Da erbrechtliche Belange gesamtgesellschaftlich gesehen bald eine immer größere Rolle spielten, griff das Prinzip erblicher Beinamen auch auf andere Bevölkerungsschichten über und wurde schließlich allgemein üblich.
Der Übergang von lockeren Beinamen zu beständigen Familiennamen differierte je nach Region, Bevölkerungsdichte und gesellschaftlicher Stellung. Familiennamen etablierten sich in großen Städten eher als auf dem Lande. Ihr Gebrauch setzte sich von den oberen Ständen über Ministerialen, Patrizier und Kleinbürger bis hin zum Bauernstand fort. Die ersten vererblichen Familiennamen sind in Europa im 9.Jahrhundertfür norditalienische und französische Adelsfamilien bezeugt. Von hier strahlte die Gewohnheit, einen beständigen Familiennamen zu führen, ab dem 12.Jahrhundert auf den Südwesten des deutschen Sprachgebietes aus und expandierte weiter nach Norden und Osten. Im polnischen und litauischen Sprachraum beispielsweise traten Familiennamen mit Rechtscharakter beim Bürgertum erst im 16. Jahrhundert und bei den Bauern im 18.Jahrhundert auf, in den skandinavischen Ländern noch später.
Endgültig fest wurden die Familiennamen aber erst in der frühen Neuzeit, als diverse Gesetze zur Annahme eines Familiennamens zwangen und einen Namenwechsel untersagten. Doch auch ein fester Name für eine Familie entwickelte sich weiter. Er stand immer im Spannungsfeld zwischen dialektgeprägter, individueller Aussprache und schriftlicher Norm. Daher sind Familiennamen bis in die Neuzeit in ihrer Struktur, Schreibform und Sprechweise variabel geblieben. Zum Teil drastische Veränderungen erfuhr ein Familienname, wenn sein Träger aus dem Gebiet, in dem der Name heimisch ist, in ein sprachlich fremdes Umfeld fortzog.